Deutsch

Besser kein deutsches Europa

Das sonst so EU-befürwortende Deutschland droht mit erhobenem Zeigefinger, ein sich nach innen kehrendes Europa immer mehr auseinanderzutreiben.
16 februari 2016

Wir sind so vom moralisch überkompensierenden Deutschland überwältigt, dass niemand es wagte, etwas zu sagen, als Bundeskanzlerin Merkel mit einem „wir schaffen das“ die Tür für Flüchtlinge sperrangelweit öffnete. Und das, während im restlichen Europa nationalkonservative Bewegungen wie Pilze aus dem Boden schießen, um sich einer weitergehenden Internationalisierung der Gesellschaft zu widersetzen.

Europa will nicht mehr Ausland, sondern eben gerade weniger. Doch mit wirtschaftlichem Rückenwind und als Zahlmeister Europas ist Deutschland der unentbehrliche Leiter der Europäischen Union. Ideologische Inflexibilität, wie in der Eurokrise demonstriert, und rücksichtsloser Moralismus, wie in der Flüchtlingskrise zu sehen, machen aus einem Land, das sich selbst als EU-Befürworter sieht, ein Land, das Europa auseinandertreibt.

Wirtschaftliche Assimilation

Riefen wir bei der Eurokrise noch mit den Deutschen im Chor, die „faulen“ Südeuropäer sollten für den Abbau ihrer Schulden endlich arbeiten gehen, stehen wir jetzt auf der anderen Seite. In einer Gemeinschaft ohne Grenzen kommen Flüchtlinge nicht nur nach Deutschland, sondern früher oder später auch ins restliche Europa. Die Kosten der Aktion des Einzelnen gehen damit zulasten aller.

„Europa“ war immer mehr als ein reines Wirtschaftsprojekt. Wirtschaftliche Zusammenarbeit sollte jedenfalls der Auftakt sein hin zu einer Gemeinschaft, die die Bürger des Kontinents verbrüdert. Mit einem europäischen Grundgesetz wurde vor elf Jahren schon einmal erfolglos versucht, diesen Schritt zu gehen.

2008 kam dann noch die globale Finanzkrise hinzu, die das marode Fundament unter dem Euro freilegte. Statt dass die Währung eine kulturelle Verschmelzung bewirkte, geschah das, was schon immer ein Risiko gewesen war: Europa kam nicht über das Wirtschaftliche hinaus, auch das so pro-europäische Deutschland nicht.

Das Gegenteil war der Fall. Dieses Land richtet sich jetzt nur noch auf die wirtschaftliche Assimilation Europas. So setzt es seine mit strenger Sparmoral erworbene Machtstellung zum Export der eigenen Normen und Werte ein. Was Deutschland für gut befindet, ist damit auch für das restliche Europa für gut zu befinden. So viel Eigensinnigkeit ist natürlich der Todesstoß für ein multinationales Projekt wie Europa, wo Rücksichtnahme auf Andersdenkende Grundvoraussetzung ist.

Regeln

Was bleibt, ist ein deutsches Europa, durchtränkt von protestantischer Moral, wo Vergebung durch Sühne ersetzt wurde. Wo die Gemeinschaft nur im klaren Falle höherer Gewalt etwas für den anderen tut. Deshalb können die Syrer jetzt mit Barmherzigkeit rechnen und sitzen die Griechen auf einem Berg Staatsschulden, der sie jahrzehntelang arm halten wird. Schließlich haben sie es versäumt, die Regeln zu befolgen, obwohl die doch deutlich waren.

Die Geschichte liefert den Deutschen gute Gründe dafür, viel Wert auf die strikte Einhaltung von Regeln zu legen, doch lässt sich dies auf einem Kontinent, so divers wie Europa, nicht universell anwenden; weshalb er auch an allen Ecken und Kanten aufzureißen beginnt. Der italienische Premier Renzi hat sich nicht umsonst quergestellt bei der Zahlung von drei Milliarden Euro an die Türkei, um Flüchtlinge dort zu behalten. Und was ist von den Ländern in Osteuropa zu halten, die schon gar nicht darauf warten, die von Deutschland eingeladenen Asylbewerber aufzunehmen.

Länder, die nicht im Schussfeld der Deutschen liegen, schweigen und lassen geschehen. Sie sind es, die unter dem Druck einer sich nach innen kehrenden Wählerschaft stehen, die genug hat von einer größer werdenden Welt. Und die sozialdemokratischen Parteien, die einst für Solidarität in Europa sorgten, wurden bereits komplett verdrängt.

Deutschland regiert Europa mit erhobenem Zeigefinger, während die Grundlage der EU durch den Wunsch nach mehr Eigenheit ohnehin längst schwindet. Ohne Autorität, die es schafft, über den eigenen Schatten zu springen, sollte Europa daher besser an die einzelnen Mitgliederstaaten zurückgegeben werden, anstatt es weiter den Deutschen zu überlassen.

Übersetzt von Nadine Gruschwitz. Dieser Artikel wurde zuvor unter dem niederländischen Titel Beter geen Duits Europa veröffentlicht.